Cossmann/Cosman Werner Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde München

Cosman Werner Bibliothek der Israel. Kultusgemeinde München, Stempel im Buch "Der Jüdische Kalender"

 

Cossmann Werner

Rabbiner Dr. Cossmann Werner

(Quelle: The Emanuel Ringelblum Jewish Historical Instutute, Warsaw (Żydowski Instytut Historyczny im. Emanuela Ringelbluma), Cat.-no.: MŻIH B-443/34/60)

 

Zwei Bücher, die den Stempel dieser Einrichtung tragen wurden bisher im Heidelberger Bestand ausfindig gemacht. Ein Exemplar konnten wir an die heutige Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern im November 2022 restituieren. Das zweite Exemplar soll folgen, doch ist es Teil eines Sammelbandes, der auch Werke mit anderen Provenienzhinweisen enthält. Vermutlich wurden diese Werke etwa in den 1960er Jahren durch Rabbiner Davidovič zusammengefasst. Nähere Untersuchungen dazu stehen noch aus. Die Bücher aus München fallen bei erster Betrachtung aus dem Rahmen, wenn man sie versucht in den Kontext der Sammlung Davidovič zu setzen, da neben dem Bereich Westfalen vor allem Bücher darin enthalten sind, die im Protektorat Böhmen und Mähren entzogen oder dahin evakuiert worden waren. Die Tatsache, dass sich aktuell auch Bücher mit der Provenienz Cossmann (auch Cosman) Werner Bibliothek im Jüdischen Museum Prag befinden, ist jedoch ein Indiz für den Transfer von geraubtem Kulturgut mit der Zwischenstation Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, da 1943 von dort Bücher nach Böhmen ausgelagert worden waren.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten standen mit Blick auf die Bibliotheken zunächst die Freimaurerlogen im Fokus, die im Sinne der sogenannten Gegnerforschung enteignet und zusammengezogen werden sollten. Das Spektrum der Gegner wurde bekanntermaßen erweitert und so gerieten spätestens 1938 auch Bibliotheken jüdischer Einrichtungen ins Visier des Sicherheitsdienstes (SD, seit Herbst 1939 RSHA), wie es auch für die Cossman Werner Bibliothek in München zutrifft, deren Schicksal hier anhand ausgewählter zeitgenössischer Quellen nachgezeichnet werden kann:

 

Coßmann Werner Bibliothek der israelitischen Kultusgemeinde München

Die Bibliothek ist hervorgegangen aus einer ursprünglichen gemeindlichen Lehrer- und Schülerbibliothek. Durch den reichen Nachlaß des sel. Rabbiners Prof. Dr. Coßmann Werner wurde die Bibliothek zu einem wissenschaftlichen Institut umgestaltet. Mit zwei weiteren in der Gemeinde bestehenden Bibliotheken vereinigt und durch mehrere größere Bücherstiftungen von Gemeindemitgliedern bereichert, zählt die Bibliothek zur Zeit über 5000 Bände hauptsächlich in deutscher und hebräischer Sprache. Die Bibliothek ist geöffnet Sonntag 10-12, Montag, Dienstag und Donnerstag 5-7 und Freitag 2-4 Uhr. Mit der Bibliothek ist ein Lesezimmer verbunden, in dem jüdische Zeitungen und Zeitschriften in deutscher und hebräischer Sprache aufliegen.

 

Soweit die „Selbstbeschreibung“ der Bibliothek, wie sie in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung am 27. Februar 1925 (S. 10) veröffentlicht wurde. Der Gemeinderabbiner Dr. Cossmann Werner war seit 1894 in München tätig und vermachte der Bibliothek seine Büchersammlung, die nach seinem Tod im Jahre 1918 einverleibt worden war. Damit einher ging die Umbenennung der Einrichtung in Gedenken an den großzügigen Stifter.

Im Frühjahr 1939 ordnete Reinhard Heydrich, Chef des Sicherheitsdienstes, die „Konzentrierung der Judenbibliotheken“ an. Sämtliche sichergestellten Bücher sollten im Berliner SD/RSHA untergebracht werden. Neben dem bürokratischen Aufwand, den das SD-Hauptamt sowie SD-Oberabschnitte zu bewältigen hatten, zeugen die regen Schriftwechsel mit Berlin von Mangel an Personal, Zeit, Ressourcen, Material für Kisten sowie Mangel an Transportmöglichkeiten.

 

Die Antwort aus München im April 1939 lautete:

…Die einzige ausser der Feuchtwanger Bibliothek sichergestellte Bibliothek aus der Jüdischen Kultusgemeinde München wurde im November vor. Jahres in 170 Kisten zu je drei Zentnern bei einem Münchener Spediteur in Lagerung gegeben.

(Fernschreiben des SD Oberabschnitts Süd (SS-Stubf. Karl Gengenbach) an das Berliner SD Hauptamt (Referent Helmut Knochen) vom 24.04.1939, BArch R 58/6424 Vereinigung beschlagnahmter jüdischer Bibliotheken im SD-Hauptamt Bd. 1/1, Digitalisat 215)

 

Die Einlagerung der geraubten Bücher geschah während der Novemberpogrome und resultierte aus der Anordnung Heydrichs aus dem Blitz-Fernschreiben der Nacht vom 9. auf den 10 November 1938:

3.) Sofort nach Eingang dieses Fernschreibens ist in alle Synagogen und Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemeinde das vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen, damit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es kommt dabei auf das historisch wertvolle Material an, nicht auf neuere Steuerlisten usw. Das Archivmaterial ist an die zuständigen SD-Dienststellen abzugeben.

(„An alle Stapoleit- und Stapostellen, an alle SD, OA, und alle UA.“ Fernschreiben von Gruppenführer und Chef des SD Reinhard Heydrich vom 9.[10.?]11.1938 in: Hans-Jürgen Döscher, "Reichskristallnacht" - Die November-Pogrome 1938 im Spiegel ausgewählter Quellen, Bonn 1988, S.23.)

 

In einer Übersicht der vom SD sichergestellten Bibliotheken heißt es im Mai 1939:

München. Isr. Kult.-Gem. Bibl. in 170 Kisten verpackt, Terminverlängerung erbeten. [Anzahl Bücher:] ? ???

(„Übersicht über die bis zum 6.5.39. gemeldeten Juden-Bibliotheken“, BArch R 58/6424, BArch R 58/6424 Vereinigung beschlagnahmter jüdischer Bibliotheken im SD-Hauptamt Bd. 1/, Digitalisat 381 ff.)

 

Den zuständigen Behörden war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, was sich genau in den Kisten befunden hatte. Allein die Masse legt nahe, dass es sich nicht ausschließlich um Bücher gehandelt haben kann. Die 170 Kisten würden einem Gewicht von 25,5 Tonnen Material entsprechen. Wenn wir von 500 gr je Buch ausgehen, entspräche dies 51.000 Bänden, was wenig plausibel erscheint. In einer Aktennotiz des SD (BArch R 58/6424, Digitalisat 387) ist die Bibliothek der IKG München zusammen mit Einrichtungen gelistet, deren Bestand 15.000 Einheiten überschreitet; in einem angehängten Bericht ist allerdings von mindestens 10.000 Bänden die Rede (BArch R 58/6424, Digitalisat 388).

 

Im Juli war der grobe Inhalt inzwischen bekannt und die Separierung des Bestands wurde umgesetzt:

Die im November vorigen Jahres sichergestellten 170 Kisten enthalten neben der Bibliothek der Isr. Kultusgemeinde auch Juedisches Archivmaterial. Sodass eine klare Ausscheidung des Bibliothekgutes nicht moeglich ist. Nach eine[r] mit dem Generaldir. d. Staatl. Archiven Bayerns getroffenen Vereinbarung uebernimmt diese Dienststelle treuhaenderisch die kostenlose Sichtung u. Auswertung s. Inhaltes der 170 Kisten. Gewaehr fuer eine ordnungsgemaesse Durchfuehrung der Sichtung bieten die geschulten Kraefte d. Staatsatrchivs und die Teilnahme eines SD-Angehörigen. Das Staatsarchiv wurde von hier beauftrag[t] ein Verzeichnis der Bibliothek, sowie d. Archivgutes zu erstellen. Nach Fertigstellung dieser Listen werden diese sofort nach dort uebermittelt. Das SD H-Amt kann dann eine klare Ausscheidung des fuer den SD3 wichtigen Materials vornehmen. Das auf Anforderung S dann nach dort abgesandt wird. Die Arbeit ist jedoch sehr zeitraubend und wird nach Ansicht des Staatsarchivs noch etwa 6-8 Wochen in Anspruch nehmen.

Der SD Fuehrer des SS-OA-Sued Muenchen

(SS-OA Süd München (Karl Gengenbach) an das SD H-Amt Berlin (Paul Dittel) vom 12.07.1939, BArch R 58/6424, Digitalisat 317)

 

 München: wird z.Zt. dort sortiert nach Akten u. Büchern.

(Aktennotiz des SD vom 27.07.1939 zu den bereits in die Eisenacher Straße überführten Bibliotheken, BArch R 58/6424, Digitalisat 425)

 

Gerade hinsichtlich der Hebraica und Judaica gestaltete sich die Aufnahme der Bücher als schwierig, da kaum Fachkräfte verfügbar waren. Um die gesetzte Frist der Aktion „Judenbibliotheken“ einzuhalten, verzichtete Berlin auf eine vorherige Katalogisierung der Bestände aus München:

Betr. Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde. […]

Es wird gebeten, umgehend die Buecher vom Aktenmaterial zu trennen und bis 1.8.39 an die Dienststelle RFSS. Berlin W 30, Eisenacher Strasse Nr. 12 zum Versand zu bringen, da die Aktion fuer das gesamte Reich bis zu diesem Termin beendet sein muss. Eine listenmaessige Aufstellung der Buecher eruebrigt sich dadurch. Die Transportrechnungen werden von der Verwaltung des SD H’Amtes bezahlt. Die Abfertigung des Transportes ist SS-O’Stuf. Dittel durch FS. mitzuteilen.

(SD-Hauptamt Berlin (Paul Dittel) an den SD OA Süd (Karl Gengenbach) vom 26.07.1939, BArch R 58/6424, Digitalisat 316)

 

Anfang August 1939 wurden die Bücher nach Berlin überführt. Leider sind der in dieser Vollzugsmeldung genannte Katalog (Inventarbuch?) sowie die Inhaltsverzeichnisse heute verschollen:

Betr.: Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde München. […]

Die mit dortigem FS. [=Fernschreiben] angeforderte Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde München konnte erst heute zum Versand gebracht werden, da von der Reichsbahn eine Waggonsperre verhängt wurde. Zum Versand gelangten 100 Kisten an die Dienststelle des RFSS, Berlin W 30, Eisenacherstrasse 12. Anliegend werden ein Katalog der Kosman [sic] Werner-Bibliothek, sowie 2 Inhaltsverzeichnisse über jüdische Musikalien übersandt. Es wird angenommen, dass diese Inhaltsverzeichnisse zu der Bibliothek gehören.

(OA Süd an das SD Hauptamt Berlin vom 04.08.1939, BArch R 58/6424, Digitalisat 315)

 

Wenn wir nun von 100 Kisten ausgehen, können wir nach obiger Kalkulation annehmen, dass es sich um etwa 30.000 Bücher gehandelt haben könnte.

Nach der Anlieferung in Berlin verlieren sich die Spuren. Vereinzelte Bücher wurden ebenso in anderen Bibliotheken ausfindig gemacht und in einigen Fällen auch restituiert. Der größte Teil der Bibliothek scheint jedoch nicht mehr zu existieren. Die zunehmende Verzeichnung von Provenienzspuren auch außerhalb Europas wird sicherlich noch weitere Exemplare aus München ans Tageslicht befördern, die über in Berlin und Prag verbliebene Restbestände nach 1945 verstreut worden sind.

Auch das Hauptarchiv der NSDAP in München bekundete Interesse an Material aus der Israelitischen Kultusgemeinde. Bei seinem Besuch beim Sicherheitsdienst (Oberabschnitt Süd, München) fand der Mitarbeiter des Hauptarchivs Wilhelm Bohl am 14.11.1939 unter einer Reihe von beschlagnahmten Beständen auch Akten der Israelitischen Kultusgemeinde sowie einige Torarollen. Diese sollten in der darauffolgenden Woche an das Hauptarchiv überführt werden.

(Bericht von Wilhelm Bohl über seinen Besuch beim SD OA Süd vom 30.11.1939 [vermutlich an seinen Vorgesetzten Erich Uetrecht], BArch NS 26/1413, Digitalisat 797)

 

Link zum von der HfJS restituierten Exemplar in der Datenbank Looted Cultural Assets

(Adolf Schwarz: der Jüdische Kalender. Historisch und astronomisch untersucht, Breslau 1872)

 

 

Ausgewählte Links:

Neuerwerbungen der Bibliothek im Jahr 1930:

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2738065 f.

Fabian:

https://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Israelitische_Kultusgemeinde_(Muenchen)

GBV:

https://provenienz.gbv.de/Cosman-Werner-Bibliothek_(M%C3%BCnchen)

Die Bibliothek heute:

https://www.ikg-m.de/kulturzentrum/bibliothek/

 

Zu Rabbiner Dr. Cossmann Werner:

Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Cossmann_Werner

Nachrufe:

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9074985  

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2354374

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9075008

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/3286605

Trauerreden:

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/pageview/4663975

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/pageview/6037756

Porträts:

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/pageview/6037758

https://cbj.jhi.pl/documents/1264247/2/

 

 

(Text: Ph. Zschommler)

Letzte Änderung: 21.03.2024