Nachlass des Rabbiners Emil Davidovič

Familie Davidovic

Familie Davidovič im Jahr 1955

© Archiv des Jüdischen Museums Prag

 

Nachlassstempel Davidovic

 

 
KONTAKT

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Projektleiterin:

Rabbinerin Prof. Dr. Birgit Klein

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Fax: (+49) (0) 6221/5419209
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Projektmitarbeiter:

Philipp Zschommler, M.A.

HfJS
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Fax: (+49) (0) 6221/5419209
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Im Jahr 1988 erwarb die HfJS den Nachlass des ehemaligen Landesrabbiners von Westfalen, Herrn Emil Davidovič (geb. 1912), der zwei Jahre zuvor verstorben war. Der Großteil dieses Nachlasses besteht aus dessen privater Bibliothek und umfasst ca. 6.000 Bände. Hiervon sind ca. 2.500 Bände z.B. durch ihr Erscheinungsjahr vor 1945 auf ihre Provenienzen und NS-Raubgut-Verdacht zu untersuchen. Inhaltlich handelt es sich vorrangig um Judaica in deutscher und hebräischer Sprache. Bereits bei den Überlegungen zum Erwerb der Sammlung vor über 40 Jahren machte Dr. Uri Kaufmann in seinem Gutachten darauf aufmerksam, dass die Provenienzen einer gesonderten Untersuchung wert seien.

Der Auschwitzüberlebende Davidovič war zunächst in Prag als Rabbiner tätig und begann dort bereits, seine Privatbibliothek aufzubauen. So erscheinen in Büchern aus dem Nachlass Davidovič zahlreiche Besitzvermerke von Opfern der NS-Herrschaft sowie liquidierten jüdischen und nichtjüdischen Einrichtungen (z. B. aus Berlin, Prag, Breslau, München). Den Namen zufolge waren es vor allem Häftlinge aus dem Ghetto Theresienstadt, die bei ihrer Ankunft nicht nur ihre Bücher abgeben mussten. Letztere wurden in die dort eingerichteten Bibliotheken einverleibt. Hinzu kamen Buchbestände aus aufgelösten jüdischen Einrichtungen des Deutschen Reiches, wie etwa der Hochschule/Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums oder dem Breslauer Rabbinerseminar. Sämtliche Bücher aus Theresienstadt wurden nach Kriegsende zunächst nach Prag ins Jüdische Museum gebracht. Womöglich hatte Davidovič die Möglichket, aus diesen Beständen Bücher an sich zu nehmen. Er sollte als einer der wenigen überlebenden Rabbiner in der Tschechoslowakei die Betreuung einiger Gemeinden übernehmen und der Bedarf an Literatur war groß. Die Tatsache, dass sein Nachlass zahlreiche Gebetbücher enthält, spricht dafür, dass er die Bücher nicht (nur) zum eigenen Nutzen an sich nahm.

Im Nachlass sind aber auch Bücher enthalten, die während der deutschen Besatzung direkt in Prag zusammengeführt worden waren. Diese stammen vor allem aus den jüdischen Institutionen aus Böhmen und Mähren, die zwangsaufgelöst worden waren. Wie auch in Theresienstadt waren jüdische Bibliothekarinnen und Bibliothekare damit beschäftigt, die Katalogisierung zu übernehmen. Das während der nationalsozialistischen Besetzung umbenannte "Jüdische Zentralmuseum" in Prag war der Ort, an dem sämtliches Kulturgut aus Synagogen und Bibliotheken gehortet wurde. Die noch erhaltenen und akribisch geführten Eingangslisten geben Aufschluss über die Massen an Objekten, die bearbeitet werden mussten, während deren Eigentümer in die Vernichtungslager verschickt wurden. Fast alle der Museums- und Bibliotheksmitarbeiter - auch in unserem Bestand finden wir Bücher aus deren Besitz - wurden ebenfalls ermordet.

Die Bibliothek des Jüdischen Museums Prag besitzt noch immer den Großteil dieser Bestände. Daneben wurden nach Kriegsende auch große Mengen an Büchern etwa in die USA und nach Israel verschifft, andere Bestände mussten aufgrund von Schimmelpilzbefall vernichtet werden und weitere gelangen wohl auch in Antiquariate. Darauf lassen Kürzel und Preisangaben schließen, die sich in einigen Büchern des Nachlasses Davidovič finden.

Der politische Kurs der Tschechoslowakei nach Kriegsende war geprägt von antijüdischen Maßnahmen von Denuziationen bis hin zu den stalinistischen "Säuberungen". Erst 1962 gelang es Davidovic und seiner Familie eine Genehmigung zur Ausreise zu erhalten und zwar unter Vorwand einer Familienzusammenführung in Südamerika. Stattdessen erreichte die Familie bald darauf Dortmund, wo man Davidovič das Amt des Rabbiners zugesagt hatte. 10 Jahre später wurde Davidovič Landesrabbiner von Westfalen und 1979 der Vorsitzende der deutschen Rabbinerkonferenz.

In seinem Nachlass finden wir auch NS-Raubgut mit westfälischen Provenienzen. Nach unseren aktuellen Kenntnisstand stammen diese Bücher aus Restitutionen die in den 1950er Jahren innerhalb der Britischen Zone an die Jewish Trust Corporation erfolgten. Letztere verteilte die rückerstatteten Bücher vermutlich auf die westfälischen Gemeindebibliotheken, von wo sie vermutlich in den Besitz von Davidovič übergegangen sind. Bei einigen Eigentümern der Bücher können wir davon ausgehen, dass Davidovič sie selbst oder deren Nachkommen gekannt hatte. Ob er eine Übergabe der Bücher angestrebt hatte, können wir leider nicht mehr nachvollziehen.

 

Ausgewählte Literaturhinweise

Bušek, Michal: Hope is on the next page. 100 years of the Library of the Jewish Museum in Prague / Židovské Muzeum v Praze, Prag 2007

Trnka, Vera: Emil Davidovič. Das Leben eines jüdischen Gelehrten in den Wirren des 20. Jahrhunderts, Berlin 2020.

Zschommler, Philipp: NS-Raubgut an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Die Provenienzen im Nachlass des Rabbiners Emil Davidovic, Bibliotheksdienst 2020; 54(10-11), S. 793-804.

Ders.: Die Provenienz „Prag“ in der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Provenienz & Forschung 1/2021, S. 28-33.


 

Letzte Änderung: 12.05.2021