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Auslegung des Monats Kislew

Die Stimme ist die Stimme Jakobs (Gen 27,22)

Die Stimme, die so wimmert, ist die Stimme von Jakobs Kindern, die von Frevlerhänden erschlagen werden.

—Qalonymos ben Yehuda aus Mainz

Jakob hat gelacht, als ich ihn an die Jasminfelder unserer Jugend erinnerte. Seltsam, gerade wenn er lacht, höre ich ein verstohlenes Wimmern in seiner Stimme.

—Meir Shalev, Esaw

Der Lehrstuhl Bibel und Jüdische Bibelauslegung ist der einzige seiner Art in Deutschland, der sich in Lehre und Forschung mit Text, Überlieferung, exegetischer Rezeption und moderner Deutung der Hebräischen Bibel von der Antike bis in die Neuzeit beschäftigt. Dabei umfasst allein das Forschungsgebiet für die biblische Geschichte und Literatur einen historischen Rahmen von mehr als 1000 Jahren. Nimmt man noch die Quellen zur jüdischen Bibelauslegung in Mittelalter und Neuzeit sowie die Masora als Bindeglied zwischen dem (masoretischen) Bibeltext und seiner Auslegung hinzu, so umfasst dieses Fach idealtypisch mehr als 2500 Jahre, die in literarspezifischen Detailfragen ebenso wie in zunehmend fächerübergreifenden Fragestellungen und Forschungsansätzen überblickt sein wollen. Mit Ausnahme einiger Quellen zur jüdischen Bibelauslegung im 19. und 20. Jahrhundert sind alle entscheidenden Quellen auf Hebräisch und Aramäisch verfasst.

Am Heidelberger Lehrstuhl liegen die Schwerpunkte zum einen auf der masoretischen Bibeltext- und Manuskriptforschung (9.–13. Jahrhundert), zum anderem auf den Quellen zur jüdischen Bibelauslegung von der ersten Hälfte des 10. bis zur 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts sowie auf dem 19. und 20. Jahrhundert.

Bücher: Tanach, Liss

Forschungsschwerpunkte

Erst die sog. Masora aus Eretz Israel, d.h. der masoretische Hypertext mit Vokalisation, Akzentsetzung und Beifügung verschiedener Annotationen lässt den antiken Konsonantentext (Qumran) zum mittelalterlichen masoretischen Text werden. Ziel der Forschungen am Lehrstuhl ist die erstmalige Aufarbeitung der westeuropäischen (ashkenasischen) Masora-Tradition zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert, die sich von der orientalischen Masora philologisch und in ihrem äußeren Erscheinungsbild als masora figurata unterscheidet. Dabei geht es auch um den Inkulturationsprozess der Masora und des Hebräischen Bibeltextes in die christliche Umwelt (Architektur; Buchkunst) hinein.

Am Heidelberger Lehrstuhl steht insbesondere die Auslegungstradition der mittelalterlichen nordfranzösischen Exegetenschule im Fokus, d.h. die exegetischen Kommentare von R. Shelomo Yitzchaqi (RaShY) und seiner Schule, R. Avraham Ibn Ezra, die Mitglieder der Familie Qimchi sowie R. Moshe ben Nachman (‘RaMBaN = Nachmanides’). Daneben werden die überlieferten hebräisch-französischen Bibelglossare v.a. aus dem 13. Jahrhundert bearbeitet. Diese Bibelglossare, die die Vernakularglossen in hebräischer Graphie abbilden, sind exzeptionelle Zeugen nicht nur für die exegetische und kulturgeschichtliche judaistische Forschung, sondern auch für die morphologische, phonologische und lexikalische Erforschung des Altfranzösischen zwisachen dem 11. und 13. Jahrhundert. Sie bilden darin Grundlagentexte für die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen Geistesgeschichte und der nicht-jüdischen Umwelt.

Die Bibelauslegung der Vertreter der sog. Wissenschaft des Judentums in Deutschland und Osteuropa wird vor allem hinsichtlich ihres Einflusses auf das moderne Judentum und sein Verständnis von Religion und Kultur hin erforscht.

Lehrveranstaltungen

Die Lehrveranstaltungen werden regelmäßig an die Forschungsschwerpunkte zurückgebunden.

Dabei wird die ganze Bandbreite des Faches – von den biblischen Überlieferungen bis in die neueste Auslegungsliteratur – abgedeckt und in den Bachelor- und Masterstudiengängen im Unterricht behandelt.

In Zusammenarbeit mit dem Abraham Berliner Center werden regelmäßig workshops und Vorträge mit internationalen Gastwissenschaftlern durchgeführt.

Lehre

Wintersemester 2025/2026

  • Hauptseminar / Übung: Der Tempel: Heiliger Ort, Fiktion, Utopie

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Mittwoch, 9.15–10.45 Uhr, S 3

  • Proseminar / Übung: Yaaqov und Esaw – feindliche Antagonisten?!

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Mittwoch, 11.15–12.45 Uhr, S 3

  •  Oberseminar / Übung: Die Bedeutung der Masora im mittelalterlichen Ashkenas

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Donnerstag, 09.15–10.45 Uhr, S 3


Forschungsprojekte im Überblick

Masorah Rearranged: Eight Masoretic Lists in MS London Oriental 2091, fol. 335vcorpus masoreticum working papers 6 (2023).

Corpus Masoreticum

Paris Arsenal 5956
Berlin_SPK_Fragment_zum_Hohelied_Public_Domain_1.0

Biblia Rabbinica


Veranstaltungen

Aktuell

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Vergangene Veranstaltungen

Kolloquium „Judaeophobia? Identitätskonflikte des Judentums in der Antike“

Aktuelles Pressemitteilung

In Kooperation mit der Università Roma Tre, umfasste die Veranstaltung Vorträge rund um das Thema „Judeophobie“. Dabei wurde der Begriff selbst, jüdisches Leben im ägyptischen Hinterland, jüdische Identität und Nationalismus behandelt und analysiert.
Professor Johannes Heil ging in seiner Einleitung unter anderem auf die Problematik ein, dass Arbeiten zur jüdischen Geschichte oftmals außerhalb jüdischer Fakultäten entstanden seien bzw. entstehen. Auch leitete er direkt in den Titel der Tagung über: Judeophobie über. Dabei bemängelte Heil den Kern des Begriffs, impliziere er doch, die Möglichkeit, Juden als etwas Bedrohliches anzusehen.
Unter dem Titel „Jüdisches Leben im ägyptischen Hinterland“, zeichnete Professorin Andrea Jördens ein Bild einer vergangenen Gesellschaft, in der jüdisches Leben sehr präsent war. Juden waren gesellschaftlich integriert, so zum Beispiel im Sicherheitsdienst, waren unter anderem als Bauern tätig und besaßen sogar eine eigene Gerichtsbarkeit. Mit Blick auf die frühe Kaiserzeit könne man keinen Wandel feststellen, es scheine auch weiterhin ein gutes Miteinander geherrscht zu haben, so Jordans. Besonders aussagekräftig waren mit Tinte beschriftete Gefäßscherben, sogenannte Ostraka.
Interessant war dabei nicht nur die darauf zu sehende Abbildung Moses, sondern die Anweisung, den Juden diesmal kein Brot, sondern Getreide zu liefern. Dies bezog sich zeitlich vermutlich auf Pessach und stellte somit eine Gewährleistung religiöser Praktiken von Seiten der Römer dar.
Francesca Lorenzini lud die Zuhörerinnen und Zuhörer dazu ein, darüber zu reflektieren, inwieweit man die Verwendung der Begriffe „Nation und Nationalismus“ mit Bezug auf das antike Judentum ablehnen, akzeptieren oder hinterfragen solle. Sie betrachtete die Elemente, die zu der Entstehung einer jüdischen nationalen Identität in der Antike beitrugen und schrieb dabei der Massenverbreitung biblischer Literatur, eine wichtige Rolle zu. Frau Lorenzini bemerkte, dass die jüdische nationale Identität bei ihrer Entstehung eine Dualität, bestehend aus Abstammung und kulturellem Erbe, aufweise. Sie kam zu dem Schluss, dass, entgegen Mendels Behauptungen, nach 135–136 nach Christus nicht etwa der jüdische Nationalismus untergegangen sei, sondern der Wunsch nach einem unabhängigen jüdischen Staat. Auch seien nationalistische Symbole nicht verschwunden, sondern hätten sich weiterentwickelt und den aktuellen Bedürfnissen eines Volkes angepasst. Vor diesem Hintergrund der Metamorphose könne man die Verwendung der Kategorien „Nation“ oder „Nationalismus“ beobachten.

Mit seinem Vortrag zeigte Christopher Decker anhand von Darstellungen des herodianischen Tempels, in welchen verschiedenen Formen das Symbol des Tempels, je nach Medium, Sender und Adressatenkreis, divergierende Absichten der Darstellung besaß. Dabei betonte er, dass die Erinnerung an den Tempel fluide war und letzterer sich in verschiedenen Ideen und Gestaltungen, so auch in pagan konnotierten Bildformen, ausdrückte. Die erklärungsbedürftige Inbesitznahme von kulturellen Elementen der griechisch-römischen Welt durch das Judentum, bildeten laut Decker erst das Fundament, auf dem die jüdische Religion darstellbar werden konnte. Eine jüdische Identität in der Antike habe sich in ihrer spezifischen Bildsprache erst im Prozess zwischen Inkulturation und Abgrenzung zu ihrer paganen Umwelt geformt. Dabei zeigte er unter anderem die Bar Kochba-Münzen als Beispiel dafür auf, dass dieses Medium zur Verbreitung ideologischer Botschaften genutzt werden konnte.
Inkulturation, so Decker abschließend, stellte den Untergrund dar, auf dem sich jüdische Symbolik und Identität ausbilden und wachsen konnte.

Abschließend ging Arnaldo Marcone auf das Konzept „Judaeophobia“ ein. Er schilderte Peter Schäfers Auffassung, dass der Antisemitismus seinen Ursprung in der Antike, sogar Wurzeln noch vor dem Hellenismus habe.
Auch die Kritik Schäfers an Ansätzen, die Antisemitismus auf die Besonderheit der Juden bzw. ihrer Religion zurückführten, fand Erwähnung. Die methodologische Prämisse dieser sei, dass die einzigartigen kulturellen, religiösen und sozialen Merkmale des Judentums selbst die Ursachen dessen seien, was später als Antisemitismus bekannt werden sollte.
Gefährlich sei, dass der Substanzialist einen monolithischen Antisemitismus annehme, der aus dem Wesen des Judentums selbst entspringe. Dadurch bestehe die Gefahr, Ursache mit Vorwand zu verwechseln und letztlich den Juden für das, was ihnen widerfahren ist, Schuld zu geben. Schäfer bevorzuge einen synthetischen Ansatz, der beide Modelle nutzt und ihn zu folgender Behauptung geführt habe: Im Antisemitismus brauche es immer beide Komponenten, nämlich den Antisemitismus und den Juden bzw. das Judentum, denn Antisemitismus entstehe immer im Kopf des Antisemiten, brauche aber ein Objekt.
Eine abschließende Bilanz der Veranstaltung zeigt: Jüdische Identität war in der Antike ein dynamischer Prozess und bewegte sich in einem komplexen Spannungsfeld aus Integration, Abgrenzung und Fremdzuschreibung. So zeigt sich einerseits, dass jüdisches Leben von funktionierendem Zusammenleben und institutioneller Einbindung andererseits aber auch von der scheinbar stets herrschenden „Judaeophobia“ geprägt war. Ausschlaggebende Faktoren in der Identitätsbildung waren Literatur, religiöse Praktiken und Symbole, wobei sich insbesondere letztere wandelnden historischen Kontexten anpassten.

(Redaktion: Annalena Bauer)
 

  • Datum: 15. Dezember 2025
    Datum 15. Dezember 2025
  • Uhrzeit: 
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