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Auslegung des Monats Cheshvan

Und zu Sara sagte er [Abimelech] Worte der Beschwichtigung und des Trostes:

Siehe! Als ich dich am Anfang nahm, habe ich dich nicht mit Zwang oder Gewalt genommen, sondern nach den Regeln der Ehe, denn ich gab deinem Bruder tausend Silberstücke als Brautpreis, weil ich dachte, er sei dein Bruder, wie du mir gesagt hattest.

Dieses [hier erwähnte] Brautgeld war nicht das Geschenk von Schafen und Rindern, das Abimelech Abraham später gab, sondern [es bezieht sich auf das Brautgeld], das [Abimelech ihm gab], bevor er sie in sein Haus brachte.

Siehe, das sei dir eine Verhüllung der Augen für alle, die bei dir sind: Die tausend Silberstücke, die ich deinem Bruder vorhin gegeben habe, sind eine große Ehre für dich und dienen allen deinen Verwandten, die bei dir sind, und der ganzen Welt als Verhüllung der Augen, damit sie dich nicht in einem negativen Licht sehen und sagen: „Diese Frau – Abimelech hat sie wie Freiwild behandelt.“

Alle werden wissen, dass er sie [als Gentleman] auf ehrenhafte Weise genommen hat, und dass er sie gegen seinen Willen zurückgegeben hat.

Und in allem seist du gerechtfertigt: Es ist allgemein bekannt und gut bewiesen, dass ich mich dir gegenüber ehrenhaft verhalten habe. Bitte behalte [unsere Begegnung] nur in guter Erinnerung!

Dies ist die eigentliche Bedeutung nach dem Prinzip des peshat, denn Abimelech sagte all dies nur, um Sara zu ehren, und nicht, um sie zu tadeln oder zu täuschen.

Rashbam zu Gen 20:16

Der Lehrstuhl Bibel und Jüdische Bibelauslegung ist der einzige seiner Art in Deutschland, der sich in Lehre und Forschung mit Text, Überlieferung, exegetischer Rezeption und moderner Deutung der Hebräischen Bibel von der Antike bis in die Neuzeit beschäftigt. Dabei umfasst allein das Forschungsgebiet für die biblische Geschichte und Literatur einen historischen Rahmen von mehr als 1000 Jahren. Nimmt man noch die Quellen zur jüdischen Bibelauslegung in Mittelalter und Neuzeit sowie die Masora als Bindeglied zwischen dem (masoretischen) Bibeltext und seiner Auslegung hinzu, so umfasst dieses Fach idealtypisch mehr als 2500 Jahre, die in literarspezifischen Detailfragen ebenso wie in zunehmend fächerübergreifenden Fragestellungen und Forschungsansätzen überblickt sein wollen. Mit Ausnahme einiger Quellen zur jüdischen Bibelauslegung im 19. und 20. Jahrhundert sind alle entscheidenden Quellen auf Hebräisch und Aramäisch verfasst.

Am Heidelberger Lehrstuhl liegen die Schwerpunkte zum einen auf der masoretischen Bibeltext- und Manuskriptforschung (9.–13. Jahrhundert), zum anderem auf den Quellen zur jüdischen Bibelauslegung von der ersten Hälfte des 10. bis zur 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts sowie auf dem 19. und 20. Jahrhundert.

Bücher: Tanach, Liss

Forschungsschwerpunkte

Erst die sog. Masora aus Eretz Israel, d.h. der masoretische Hypertext mit Vokalisation, Akzentsetzung und Beifügung verschiedener Annotationen lässt den antiken Konsonantentext (Qumran) zum mittelalterlichen masoretischen Text werden. Ziel der Forschungen am Lehrstuhl ist die erstmalige Aufarbeitung der westeuropäischen (ashkenasischen) Masora-Tradition zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert, die sich von der orientalischen Masora philologisch und in ihrem äußeren Erscheinungsbild als masora figurata unterscheidet. Dabei geht es auch um den Inkulturationsprozess der Masora und des Hebräischen Bibeltextes in die christliche Umwelt (Architektur; Buchkunst) hinein.

Am Heidelberger Lehrstuhl steht insbesondere die Auslegungstradition der mittelalterlichen nordfranzösischen Exegetenschule im Fokus, d.h. die exegetischen Kommentare von R. Shelomo Yitzchaqi (RaShY) und seiner Schule, R. Avraham Ibn Ezra, die Mitglieder der Familie Qimchi sowie R. Moshe ben Nachman (‘RaMBaN = Nachmanides’). Daneben werden die überlieferten hebräisch-französischen Bibelglossare v.a. aus dem 13. Jahrhundert bearbeitet. Diese Bibelglossare, die die Vernakularglossen in hebräischer Graphie abbilden, sind exzeptionelle Zeugen nicht nur für die exegetische und kulturgeschichtliche judaistische Forschung, sondern auch für die morphologische, phonologische und lexikalische Erforschung des Altfranzösischen zwisachen dem 11. und 13. Jahrhundert. Sie bilden darin Grundlagentexte für die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen Geistesgeschichte und der nicht-jüdischen Umwelt.

Die Bibelauslegung der Vertreter der sog. Wissenschaft des Judentums in Deutschland und Osteuropa wird vor allem hinsichtlich ihres Einflusses auf das moderne Judentum und sein Verständnis von Religion und Kultur hin erforscht.

Lehrveranstaltungen

Die Lehrveranstaltungen werden regelmäßig an die Forschungsschwerpunkte zurückgebunden.

Dabei wird die ganze Bandbreite des Faches – von den biblischen Überlieferungen bis in die neueste Auslegungsliteratur – abgedeckt und in den Bachelor- und Masterstudiengängen im Unterricht behandelt.

In Zusammenarbeit mit dem Abraham Berliner Center werden regelmäßig workshops und Vorträge mit internationalen Gastwissenschaftlern durchgeführt.

Lehre

Wintersemester 2025/2026

  • Hauptseminar / Übung: Der Tempel: Heiliger Ort, Fiktion, Utopie

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Mittwoch, 9.15–10.45 Uhr, S 3

  • Proseminar / Übung: Yaaqov und Esaw – feindliche Antagonisten?!

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Mittwoch, 11.15–12.45 Uhr, S 3

  •  Oberseminar / Übung: Die Bedeutung der Masora im mittelalterlichen Ashkenas

Leitung: Prof. Dr. Hanna Liss

Donnerstag, 09.15–10.45 Uhr, S 3


Forschungsprojekte im Überblick

Masorah Rearranged: Eight Masoretic Lists in MS London Oriental 2091, fol. 335vcorpus masoreticum working papers 6 (2023).

Corpus Masoreticum

Paris Arsenal 5956
Berlin_SPK_Fragment_zum_Hohelied_Public_Domain_1.0

Biblia Rabbinica


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Der Aktivismus in den deutschen Nahoststudien ist Folge einer Blickverengung

Aktuelles Presse

Ausweg aus der Echokammer

(Artikel von Prof. Dr. Johannes Becke für die FAZ)

Der Aktivismus in den deutschen Nahoststudien ist Folge einer Blickverengung 

Eine akademische Diskussion über Israel und Palästina ist an den meisten US-amerikanischen Universitäten nicht mehr möglich. Seit dem Umbau der US-Nahoststudien von einer philologisch- historischen Disziplin in ein aktivistisches Forschungsfeld, das im Nahen Osten und Nordafrika nach Bestätigung für allerlei progressive Theoriefragmente sucht, sind viele amerikanische Forschungszentren für Nahoststudien zur Echokammer geworden: Der Diskurs über das zionistische Projekt hangelt sich entlang weniger Phrasen aus den Siebzigerjahren (Siedlerkolonialismus, Apartheid, Genozid), israelische Wissenschaftler werden konsequent boykottiert und ausgeschlossen, verstaubte Traktate der Drittwelt- Ideologie (wie der Klassiker „Orientalismus“ von Edward Said, der vor fast fünfzig Jahren erschien) werden dagegen wie religiöse Texte behandelt: Exegese ja, Kritik nein.

Die fortschreitende Horizontverengung lässt sich gut an der größten Vereinigung für Nahoststudien ablesen, der Middle East Studies Association (MESA): Noch bis vor wenigen Jahren gab es hier einige wenige Panels, die von israelischen Forschungsinstituten ausgerichtet wurden. Die Stimmung auf MESA- Tagungen war scharf antiisraelisch, aber einige wenige Panels zur israelischen Geschichte wurden geduldet. Seit die MESA im Jahr 2022 offiziell eine antiisraelische Boykott-Resolution annahm, sind auch diese wenigen Panels mit mehr als einer einzigen erlaubten Meinung zu Israel und Palästina verschwunden: Man ist endlich unter sich. Wer sich mit der zionistischen und israelischen Geschichte auseinandersetzen möchte, muss das in den Vereinigten Staaten außerhalb der Nahoststudien tun, nicht zuletzt im wachsenden Feld der Israelstudien.

Mit der üblichen Verzögerung schwappt dieser bedauernswerte Trend auch nach Deutschland herüber: Der im September 2025 neugewählte Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient (DAVO) besteht vollständig aus engagierten antiisraelischen Aktivisten. Das Meinungsspektrum des neuen DAVO-Vorstands reicht von der Forderung nach einem Boykott aller israelischen Universitäten (DAVO- Vorsitzende Christine Binzel) über den Ruf nach Militärschlägen gegen Israels Wirtschaft („I am fully aware that civilians will die“, Hanna Kienzler, DAVO-Schriftführerin) bis hin zur überraschenden Einsicht, die Bilder des 7. Oktober stünden doch in Wirklichkeit für „Ausbruch, Rückkehr, Freiheit“, natürlich ganz unabhängig davon, wie man „strategisch, militärisch oder politisch zu der von verschiedenen Gruppen ausgeführten Operation [sic!] steht“ (Hanna Al-Taher, stellvertretende DAVO-Vorsitzende).

Nun könnte man viel Kritisches zur israelischen Regierung anmerken. Die rechts-religiöse Koalition unter Dauer-Premierminister Netanjahu enthält ähnlich dubiose Rechtsextremisten wie die türkische Regierung, und auch sonst fügt sich Israel zunehmend in die Landschaft nahöstlicher Staaten ein: so irredentistisch wie Marokko, so militaristisch wie die Vereinigten Arabischen Emirate und mit einer ganz ähnlichen Tendenz, im Kampf gegen islamistische Gruppen wie die Hamas auf unbedingte militärische Härte zu setzen, wie es Saudi-Arabien im jemenitischen Bürgerkrieg versuchte.

Als wissenschaftlicher Verband ist die DAVO damit fürs Erste erledigt. Wenn man im DAVO-Vorstand Militärschläge gegen die israelische Wirtschaft fordert oder das Massaker des 7. Oktober als ein Symbol der „Befreiung“ versteht, ist die DAVO kein sicherer Ort mehr für jüdische und israelische Wissenschaftler und für viele andere ebenfalls nicht. Die Universität Nürnberg-Erlangen sollte sich daher gut überlegen, ob sie tatsächlich die Gastgeberin des DAVO-Büros werden möchte. Der Schaden für den soliden Ruf der Nahoststudien in Nürnberg-Erlangen ist jetzt bereits gut ersichtlich.

Wie konnte eine solche Echokammer entstehen? Der Blick in die Vereinigten Staaten als alleinige Quelle für alle Verirrungen des deutschen Wissenschaftsbetriebs greift zu kurz. Die deutschen Nahoststudien haben es schlicht versäumt, eine Pluralisierung des Faches voranzutreiben. Bis heute gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Kurdische Studien an einer staatlichen Universität genauso wenig wie einen staatlichen Lehrstuhl für Israelstudien. Ausländische Forschungszentren unterhält die Max-Weber- Stiftung ausschließlich in Beirut und Istanbul, aber nicht in Jerusalem oder Erbil. Die großen außeruniversitären Forschungszentren, das GIGA-Institut für Nahoststudien und das Zentrum Moderner Orient in Berlin, beschäftigen ganz bewusst keine Israelexperten. Große Zentren für die zeitgenössische Erschließung des Nahen Ostens, darunter Marburg und Nürnberg-Erlangen, besitzen weder einen Lehrstuhl für Israelstudien noch einen Lehrstuhl für Judaistik.

Die Echokammer der deutschen Nahoststudien ist also auch ein Produkt struktureller Blindheit. Wenn man nur noch eine einzige nahöstliche Sprache beherrscht, nämlich fast immer das Arabische, wird eine vielsprachige und multiethnische Region schnell zur vermeintlich „arabischen Welt“; und wer nur islamwissenschaftliche Seminare zum Nahen Osten besucht hat, sieht eine multireligiöse Region schnell nur noch als Teil der „Welt des Islams“. Wer weder Arabisch spricht noch muslimisch ist (so wie die jüdischen Israelis), der passt in diese imaginierte Region einfach nicht hinein und kann nur mit Argwohn betrachtet werden. Am besten sollte er aus allen akademischen Bezügen ausgeschlossen werden.

Der einzige Ausweg aus der Horizontverengung ist daher ihre konsequente Pluralisierung: Nahostzentren, die ohne Expertise zum jüdischen Nahen Osten und ohne Expertise zur israelischen Gesellschaft auszukommen glauben, sind endgültig aus der Zeit gefallen. Wer sich mit der israelischen Gesellschaft auseinandersetzen will, muss sich ein tiefes Verständnis der palästinensischen Geschichte erarbeiten, und wer mit der palästinensischen Sache sympathisiert, sollte selbstverständlich verstehen, warum genau Millionen von Jüdinnen und Juden die Idee eines jüdischen Nationalstaats im Land Israel/Palästina verteidigen, ohne sich mit der griffigen Formel des „Siedlerkolonialismus“ zufriedenzugeben. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigen, dass die arabische Welt längst ihren Frieden mit dem Staat Israel gemacht hat. Vielleicht gilt das eines Tages ja auch für die deutschen Nahoststudien.

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  • Datum: 5. November 2025
    Datum 5. November 2025
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